Der Ausschluss von Frauen aus dem politischen Leben im Jahr 1848

Das Geschlecht galt 1848 für das politische Partizipationsrecht als ausschlaggebend», stellt die emeritierte Professorin der Universität Bern Brigitte Studer fest. Wie die Französinnen in Frankreich von 1789 wurden Schweizer Frauen von jeglicher Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen, betont die Historikerin in einem Gespräch mit den Parlamentsdiensten.

Albert Anker : Lesendes Mädchen, 1882
Albert Anker : Lesendes Mädchen, 1882

PD: Haben die Autoren der ersten Bundesverfassung von 1848 die Frauen wörtlich von politischen Rechten ausgeschlossen?
BS: Nein, die Autoren der Bundescharta haben den weiblichen Ausschluss aus den politischen Rechten gar nicht zum Thema gemacht. Wie die Autoren der helvetischen Verfassung von 1798 oder jene der liberalen Kantonsverfassungen des 19. Jahrhunderts haben sie ihn auch nicht explizit festgeschrieben.
Die Französische Revolution benötigte vier Jahre, bevor sie die Frauenclubs schloss und die Frauen aus der neu konstituierten öffentlichen Sphäre verbannte. Ihrerseits erledigten die eidgenössischen Verfassungsgeber dies 1848 still und diskussionslos. Sie etablierten ein universelles Männerstimmrecht, das allen Schweizer Männern auf dem ganzen Territorium (nicht nur Kantonsbürgern) politische Rechte garantierte. Dies begründete während 123 Jahren den Schweizer Stolz, die Eidgenossen hätten die «älteste Demokratie der Welt» geschaffen. Eine Demokratie, die mit anderen vermeintlich inkommensurabel war, die von den jungen Demokratien im Ausland keine Lehren zu erhalten hatte.

Was steckte hinter dem “virilen Bundestaat”?
In der Schweiz, meinten einmal die beiden Historiker:innen Brigitte Schnegg und Christian Simon, waren zur Zeit der Helvetischen Republik die grossen Kämpfe der Frauen bereits stellvertretend in Frankreich entschieden worden: die Männer waren gewarnt. Die entstehende bürgerliche Gesellschaft distanzierte sich von der in ihren Augen verweichlichten aristokratischen Gesellschaftsordnung und ihren geschlechtergemischten Geselligkeitsformen, wie sie in der Schweiz auch die urbanen patrizischen Oberschichten in Bern, Neuenburg, Genf und Lausanne pflegten.

Die schweizerische Aufklärung, angeführt vom Zürcher Kreis um Johann Jakob Bodmer, orientierte sich an den alten Schweizer Tugenden: Wehrhaftigkeit, Sparsamkeit, Sittenstrenge. Sie wurden von Émile Rousseau idealisiert und auch von den französischen Republikanern zum Vorbild gemacht. Weiblichkeit galt als Gegensatz der Vernunft, die wie die Politik eine Männersache war.

Wollte Rousseau keine geschlechtergemischte Gesellschaft?
Nein, die Frauen hatten im Haus zu wirken, da konnten sie als Gattin und Mutter schalten und walten. Die Vertretung gegen aussen in der als arbeitsteilige wirtschaftliche Einheit funktionierenden Familie fiel hingegen dem Mann zu. Er verkörperte das bürgerliche Rechtssubjekt.

Nicht nur in der Schweiz war die Geschlechterdifferenz für die Formation der neuen politischen Öffentlichkeit im Liberalismus konstitutiv. Die Evokation der «Weiberherrschaft» des Ancien Regime mit seinen «Salonnières» diente in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als abschreckendes Signum der Arkanpolitik der alten Eliten. Rousseaus republikanisches Gegenmodell setzte dagegen auf Virilität und propagierte in der neuen bürgerlichen Ära eine rigide Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit und eine ebenso rigide Geschlechtertrennung in Staat und Öffentlichkeit, um einen Rückfall in die alten gesellschaftlichen Verhältnisse zu verhindern. Frauen sollten weder formell im Parlament noch informell über die Familie Einfluss auf die Politik nehmen.

War die paritätische Vorstellung der Gesellschaft von Condorcet schon Makulatur?
Die politische Vertretung kam dem Familienhaupt zu, und dieses war männlich. Diese Gesellschaftsorganisation entspricht der Natur der Geschlechter, erklärten die Theoretiker des Ausschlusses der Frauen in einem kaum enden wollenden Redeschwall juristischer, philosophischer, literarischer und medizinischer Stellungnahmen und Schriften. Das ganze 19. Jahrhundert und fast das ganze 20. Jahrhundert bemühten sie sich, diese Vorstellung zu legitimieren. Damit die Sache klar war, beschied der berühmte Schweizer Staatsrechtler Johann Caspar Bluntschli 1852 kurz nach der Einführung des universellen Männerstimmrechts: «Der Staat ist entschieden männlichen Charakters».

Im Endeffekt wurde ein soziales Konstrukt – die polarisierte bürgerliche Geschlechterordnung – naturalisiert. Dabei schrieben diese Theoretiker nicht nur gegen die seit der Aufklärung ertönenden feministischen Stimmen an, etwa einer Mary Wollstonecraft, sondern auch gegen einzelne Vertreter ihres eigenen Geschlechts, wie etwa ein Condorcet, die sich zum Prinzip der Gleichheit aller Menschen bekannten und die politische Rechtlosigkeit von Frauen aufgrund einer wie auch immer verstandenen biologischen Differenz ablehnten.

Hat die Bundesverfassung die kantonalen, kommunalen oder bürgerlichen Gesetzgebungen in Bezug auf Frauenrechte zurückgeworfen? Ich denke zum Beispiel an das Berner Gemeindegesetz von1833, das Grund besitzenden Frauen Mitbestimmung in der Gemeindeversammlung gewährte.
Das lässt sich so generell nicht behaupten. Auch Frauen haben von der Aufhebung ständischer Privilegien respektive Diskriminierungen profitiert. Andererseits etablierte sich mit der modernen Bundesverfassung der strikte und langdauernde weibliche Ausschluss aus den politischen Rechten. Ohne dass dies im Bundesverfassungstext explizit festgeschrieben worden wäre.

Die Politisierung von Geschlecht als Differenzkategorie geschah deutlicher im Rahmen des Zivilrechts. Trotz etlicher Eingaben und Anträge von Frauen- wie von Männerseite standen Frauen in vielen Kantonen fast bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts unter männlicher Vormundschaft. Erst mit dem Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit wurde 1881 für die ledigen und verwitweten Frauen die Geschlechtsvormundschaft aufgehoben. Die verheirateten Frauen blieben hingegen der ehemännlichen Vormundschaft unterworfen, ein Status, der mit dem Zivilgesetzbuch von 1912 nur umbenannt, keineswegs beseitigt wurde und bis 1988 fortbestand. Das Sozialrecht wiederum «familialisierte» die Frauen, sie sollten möglichst zuhause bleiben. In der «longue durée» zeigt sich aber, dass das Gleichheitsversprechen von 1848 auch den Frauen die Möglichkeit ihrer Emanzipation eröffnete, wenn auch nur gegen viele Widerstände.

Über Brigitte Studer
Brigitte Studer war Professorin für Geschichte des 19./20. Jahrhunderts an der Universität Bern. Sie lehrte auch an den Universitäten Genf, Zürich und Washington in St. Louis (USA) sowie an der EHESS (Paris). Ihr Buch «Frauenstimmrecht. Historische und rechtliche Entwicklungen 1848 – 1971 (mit Judith Wyttenbach)», wurde 2021 veröffentlicht.